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Marokko reloaded

Sonntagabend zog ich in Agadir den Stecker aus meinem bisherigen Abenteuer, um ihn am Dienstag in Midelt (südlich von Fès im Mittleren Atlas) wieder reinzustecken. Tatsächlich ist Marokko seitdem ein Land, das Augen und Seele erwärmt. Das Lust auf Radfahren macht und die Anstrengungen belohnt. Das liegt nicht nur am fehlenden Meer, das ich zwar vermisse, aber das eben auch Hektik und große Städte brachte. Es ist der gesamte Rahmen, die Grundordnung, der Lebensfluss, der hier im Landesinneren anders ist. Wo es an der Küste laut, hektisch, dreckig und kaputt zuging, ist hier kaum Müll zu sehen, legt man Wert auf ansprechende Schönheit und weiß sich sogar im Straßenverkehr zu beherrschen!

 

Womit das Radreisen endlich auch mal Spaß macht. Das liegt nicht zuletzt an einer famosen Landschaft und stimmigen Rahmenbedingungen. Los geht es in Midelt, eine Stadt, die nicht viel zu bieten hat. Sie liegt auf 1.400 Meter Höhe im Mittleren Atlas, war früher eine Minenstadt und ist heute Apfelhochburg. Im Stadtzentrum gibt es nicht überall Asphalt, aber eine gute Seele, die ein Herz für Vegetarier hat: Azici. Sein Pizzeria versteckt sich in einer Seitenstraße und lässt sich nur von den Suchenden finden. Zum Beispiel Vegetariern, die genug haben von pappiger Pizza oder faden Pastagemurkse. Sie begrüßt Azici mit entwaffnender Freundlichkeit und großer Liebe für fleischlose Kost. Zu seinem Opus gehören Veggy-Burger und allerlei Pizzen. Auch sein Tagesmenü hat eine Variante für die Fleischlosliebhaber dieser Welt. Drei Gänge, 65 Dirham, umgerechnet sechs Euro und ein paar Cents. Den fröhlichen Azici gibt es umsonst dazu. Er hat seine Gäste voll im Blick und erkennt rasch, dass der ausgehungerte Radfahrer noch ein bisschen Nachschlag braucht. Alles ist frisch zubereitet, in einem Team von zwei Küchenkräften und drei Bedienungen. Nebenbei wird sogar die streunende Katze vom kleinen Sohnemann noch mit Leckereien versorgt. Pappsatt und vollgepumpt mit menschlicher Wärme verlasse ich nach zwei Stunden sein Paradies und bin zum ersten Mal im Reinen mit dem Gastro-Land Marokko. 

 

Tags darauf stehen 100 Kilometer und ein langer Anstieg zum Tizi-n-Talghemt an. Ich breche früh auf. Die ersten 18 Kilometer vergehen wie im Flug. Buchstäblich. Der aus Westen kommende Wind steht mir im Rücken und schiebt mich flott über die Straße. Nach einer knappen Dreiviertelstunde stehe ich an der Rampe zum Anstieg des Tages. Dass es so flott geht liegt auch am nagelneuen Asphalt, der die Räder auf bis zum 60 km/h im Flachen rollen lässt. Ein Genuss! Am Anstieg wird die Straße zweispurig. Ich teile mir die Kriechspur mit schwerbeladenen Lastern und betagten Bussen. 14 Kilometer geht es hoch, doch alles ist im soliden Rahmen und unter zehn Prozent. Nach einer Stunde stehe ich auf dem Gipfel und bin berauscht von der Schönheit der Landschaft. Hätte ich im Geografie-Studium in Geologie besser aufgepasst könnte ich euch nun einen Exkurs geben, so müssen es nun eben die Fotos richten.

 

Nach dem buchstäblichen Höhepunkt des Tages, exakt auf HSV-Fans-Lieblingshöhe von 1887 Metern, berauscht die Landschaft weiter. Nun kommt auch noch ein Geschwindigkeitsrausch dazu. Denn die Straße ist noch immer nagelneu, es geht mit fünf bis sechs Prozent talwärts und das Tempo pendelt zwischen den hohen 40ern und 60ern. In Souk de Nzala mache ich Teepause. Die Luft steht still, die Szene erinnert an einen Western. Es ist allerdings eine einsame Tankstelle im Nirgendwo. Zugleich der Treffpunkt der hiesigen Welt. Ein schrottreifer Bus fährt vor. Zwei Männer steigen aus. Vor den hinteren Flügeltüren ist ein Eisenbalken montiert. Das verhindert, dass sich die Türen während der Fahrt öffnen, denn die Schlösser funktionieren offenkundig nicht mehr. Benzinkanister werden ausgepackt und gefüllt. Dann trifft ein Mopedfahrer ein. Auch sein Fahrzeug ist in keinem Zustand, der den deutschen TÜV lächeln lassen würde. Er parkt sein Fahrzeug mitten auf dem Platz, trinkt einen Kaffee im Schatten, fährt weiter. Neben mir diskutieren unterdessen fünf Männer. Es klingt erregt, als würden sie sich streiten. Tun sie aber nicht. Arabisch ist eine Sprache, die sich gut zum Keifen eignet.

 

Nach vier Stunden Fahrzeit erreiche ich den „Tunnel der Legionäre“ und damit mein Tagesziel. Hier beginnt die Gorges du Ziz, die Ziz-Schlucht. Das Kashbah Hotel Jurassique vermietet Zimmer für ein paar Dirham und ist berühmt für seine Tajine. Ich genieße die Ruhe des Nachmittags und staune über die Landschaft aus mächtigen Felsformationen und Dattelpalmen. Über Jahrhunderte hat sich der Fluss hier eingegraben. Frieden stellt sich ein. Was für ein Unterschied zum Krach der Küste! (weiter nach der Fotostrecke)

 

Tags darauf stehen lediglich 39 Kilometer bis Errachidia auf dem Zettel. Nach etwas über zwei Stunden bin ich da. Trinke einen Tee à la Menthe im Schatten eines Cafés. Die Sonne röstet, denn die angenehme Luft der Hochebene ist ersetzt durch Feuerstrahlen ohne Gnade. Ein paar Kilometer südlich beginnt das Tafilalet und damit die Sahara. Dahin führt es mich morgen.

 

Errachidia ist eine Stadt im Umbau. Kein Bürgersteig scheint intakt. Überall klaffen Löcher, warten auf Paletten gestapelte Steine darauf, verbaut zu werden. Zwei Bauarbeiter schuften im gleißenden Sonnenschein mit einer Flex und füllen wieder ein winziges Stückchen der Großbaustelle. Die Stadt ist jung. Beim Reinfahren sah ich viele Universitätsgebäude, strömten überall junge Menschen aus den Häusern. Das Erscheinungsbild vermischt sich. Echarriada ist Berberhochburg. Die jungen Frauen tragen Kopftuch, Berberturban oder offenes Haar. Stark vertreten ist das Militär. Der Weg ins Stadtzentrum ist gesäumt von Kasernenanlagen. Die geschlossene Grenze zu Algerien ist nicht weit, und mit den algerischen Brüdern und Schwestern befindet sich Marokko im Dauerkonflikt. Zu sehen gibt es nicht viel. Errachidia ist eine nüchterne, geschäftige Stadt.

 

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