Erwartungshaltungen sind tückisch. Von vielen Seiten wurde Oualidia gelobt. Hier fange das wahre Marokko an, hier sei alles viel sauberer und die Atmoshäre erinnere an die Südsee. Ich buchte also gleich für zwei Nächte und freute mich wie bolle, endlich mal was fürs Auge und für die Seele zu bekommen.
Vielleicht gibt es ja zweimal Oualidia. Das, in dem ich bin, ist jedenfalls wie viele der anderen bislang besuchten Ort: leicht dreckig und chaotisch, nur mit viel Augenzwinkern als "schön" zu bezeichnen und irgendwie nichtssagend.
Ja, da ist die tolle Lagune, die wirklich hübsch aussieht. Und ja, da sind schöne Strände, an denen gewaltige Wellen brechen und die wunderschönen Fischerboote liegen. Der Sonnenuntergang ist ein Traum. Aber sonst? Ein paar Nobelhotels und Restaurants, kein einziges gemütliches Café mit Strandblick, dafür aber eine Horde ziemlich aktiver Männern, die entweder Austern verkaufen wollen (lokale Spezialität), mir eine Speisekarte unter die Nase halten oder einfach nur ""Amigo, Amigo" rufen. Der Knaller war der Parkwächter, der mich fragte, ob ich mein vollbeladenes Bike auf seinem riesigen und ziemlich leeren Terrain abstellen wolle und vermutlich schon kalkulierte, was er dafür wohl berechnen kann. Da kam Asilah entspannter rüber, und selbst im tristen Mohamedia fand ich Ecken, in denen sich das laissez faire eines Strandtages besser umsetzen ließ.
Und dann ist da noch ein anderes Problem: Vegetatier sind in Oualidia nicht eingeplant. Weder Tajine noch Couscous gibt es in der vegetarischen Variante (Couscous gibt es ohnehin oft nur Freitags), so dass es beim üblichen Einheitsbrei Pizza Vegetaria und Pasta Fromage bleibt, den ich inzwischen ziemlich über habe. Noch nicht mal ne Harira-Suppe ist zu bekommen. Das Ess-Problem habe ich zweifelsohne ziemlich unterschätzt.
Insgesamt, ihr hört es vielleicht raus, hat Marokko meine Geduld heute ziemlich beansprucht. Wieder ging der Tag los mit 20 Kilometern auf einer vierspurigen Straße, was immer laut und dreckig heißt. Das stresst auf dem Rad, und auch das habe ich inzwischen ziemlich satt. Dann kam ein riesiges Phosphatabbaugebiet mit komplett umgekrempelter und toter Landschaft, hunderten von Lastwagen und einem Geruch, dessen Wirkung auf den Organismus ich lieber nicht im Detail wissen möchte. Anschließend ging es über 40 Kilometer weiter auf einer schmalen und ziemlich kaputten Landstraße, auf der scharfer Westwind wehte und es wenig zu sehen gab. Höhepunkt war eine Lagune mit rosa Flamingos.
Tiefpunkt war ein ersehnter Teestopp bei 60 Kilometer, an dem es keinen The menthe gab! Hatte sich Marokko heute komplett gegen mich verschworen? Zu allem Übel beherrschte der Barkeeper die durchaus verbreitete marokkanische Kunst, unglaublich gelangweilt und völlig desinteressiert zu gucken, auch noch in Perfektion, was meine Laune nicht gerade verbesserte. Drei Kilometer später gab es dann aber den ersehnten marokkanischen Whiskey bei einem sehr fröhlichen Barkeeper und ich konnte Kraft tanken für den Rest der Etappe.
Bleibt noch ein weiteres unangenehmes Thema: die Autofahrer. In Casablanca hatte ich bei allem Chaos immer das Gefühl, dass sie mich sehen und achten. Hier ist das nicht mehr so. Wie oft mich Autos und teilweise sogar irre lange Tieflader im Handtaschenabstand überholten habe ich nicht mitgezählt, aber es war oft. Wesentlich schlimmer waren allerdings insgesamt sechs Fahrer (gendern unnötig, da alles Männer), die mir aus der Gegenrichtung auf meiner Spur beim Überholen entgegenrasten! Jedes Mal musst ich in den Straßengraben springen, sonst hätten Sie mich übergemangelt. Es scheint gar keine Frage zu sein, dass ein Radfahrer einem Auto Platz zu machen hat. Von einem besonders aggressiven SUV-Piloten erntete ich sogar noch nen Stinkefinger, als ich mich beschwerte. Das hat heute schlicht keinen Spaß gemacht, und Radfahren macht in Marokko bislang eh nicht sonderlich viel Spaß, weil: siehe oben.
Im Landesinneren sei es angenehmer und schöner, wurde mir über ein Radreiseforum besätigt. Natürlich weiß ich das, und natürlich steht das Landesinnere ohnehin auf meiner To-do-Liste. Nach dem heutigen Tag allerdings deutlich früher als gedacht. Denn ich habe einen Plan! In Agadir werde ich mein Rad in einen Nachtbus schmeißen und mich nach Azrou (südlich von Fès) fahren lassen. Zuvor will ich versuchen, meine Campingausrüstung in Agadir zwischenzulagern, denn die Campings sind eh alle geschlossen - teilweise haben sie nach Corona gar nicht mehr aufgemacht, wie der gestern in El Jadida. Mit reduziertem Gepäck plane ich dann eine große Schleife durch den Mittleren Atlas zum Rand der Sahara, ehe ich über den Hohen Atlas nach Marrakesch rolle.
Was denkt ihr, werde ich mich dabei vielleicht doch noch verlieben in dieses Land, das mich bislang eher anstrengt?