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Auf Tangiers Stadtautobahn

Was ein Tag! Am Mittag konnte ich mir zunächst stolz ein T-Shirt mit der Aufschrift "I survived Tangier on a bike" überstreifen. Nach dem Chaos im Stadtzentrum, wo es auch schon mal so richtig steil hochgeht, spuckte mich die Stadt an der Baustelle des just entstehenden WM-2030-Stadion auf einer vierspurigen Stadtautobahn aus und ließ mich anschließend für fast 20 Kilometer nicht mehr von jener runter.

 

Bei aller rasanten Hektik erfuhr ich dort jedoch mehr Respekt der Autofahrer als so manches mal im heimischen Eichsfeld, wo die KFZ-Piloten schon mal handgreiflich werden, wenn man ihnen "ihren" Raum wegnimmt (Stammleser werden sich erinnern...). Hier war es zwar laut, hektisch und vor allem an den Kreisverkehren verrückt unübersichtlich, ich hatte aber stets das Gefühl, gesehen zu werden. Nach einer knappen Stunde erreichte ich dann einen riesigen Kreisverkehr, an dem es geradeaus auf die Autobahn nach Rabat und rechts auf die Nationalstraße nach Asilah/Larache ging. Damit hatte ich es zwar geschafft, wirklich entspannt wurde dennoch nicht, denn auch auf der "N" blieb es ein Tag im Dauer-Dieselgestank.

 

In Asilah wartete dann eine unschöne Überraschung, weil meine vorgebuchte Behausung - ich will drei Tage bleiben - zur Baustelle mutiert war. In der Nachbarwohnung wurde mit schwerem Gerät gearbeitet, so dass ich nach einer Alternative suchen musste und jene zunächst nicht fand. Etwas bitter die Erfahrung in der in allen Reiseführern hochgelobten Pension "Christina's Garden", in der man mich eher recht unfreundlich empfing, zum ersten Mal in all meinen bisherigen Unterkünften seit Nador keine andere Sprache als Arabisch möglich war und die angebotenen Zimmer klein, stickig, laut und teuer waren. Schließlich fand ich ein Apartmenthaus, in dem ich eine Miniwohnung mitsamt Dachterrasse bezog (weiter nach der Fotostrecke)

 

Marokko bleibt ein schwieriges Reiseland. Und geizt ein bisschen mit seinen Reizen. Chefchaouen und Tetouan hatten schöne Ecken, doch sobald man außerhalb der Touristenwege unterwegs war, zeigte sich der Alltag, und der war weniger ansehnlich. Viel Müll, marode Wohnsubstanz, kaum Farbe. In Hochglanztourismus-Prospekte schafft man es damit nicht! Selbst der populäre Badeort Martil, wo ich gestern von Tetouan aus hinradelte, kam nicht gerade als romantische Postkartenidylle daher. Die gewaltige Feriensiedlung besteht aus schlichten Beton-Wohnblöcken, großen Verkehrsachsen und einem schurgeraden, riesigen Strand, der außer Sand nicht viel zu bieten hat. In der Hochsaison zwischen Mai und Mitte September ist hier die Hölle los. Gestern lagen zwar ein paar Leute am Strand, doch die Cafés und Restaurants entlang der Flaniermeile waren leer. Martil ist vor allem bei bessersituierten Einheimischen beliebt, die übrigens wiederum lieber ein Appartement anmieten als ins Hotel zu gehen, denn "bei Mutter schmeckt es doch am Besten". Fragt sich, wann die auch im Urlaub kochende Mutter dann mal Urlaub macht...

 

Tetouans Zentrum ist eine Perle. Das Erbe der spanischen Zeit ist in der Architektur im spanischen Viertel verewigt, und dass die uralte Medina, prächtig erhalten und daher Weltkulterbe, direkt danebenliegt, lässt diese beiden so unterschiedlichen Lebensgestaltungsmöglichkeiten - andalusische Grandesse und uralte islamische Handelsplätze - fließend ineinander übergehen. Während meine Unterkunft, das wunderbare Riad "Soul of Tetouan", mitten in der quirligen Medina lag, erlaubte mir das spanische Viertel einen willkommenen Ausflug in die Komfortzone Europas, mitsamt Fußgängerzone, Bars, Cafés und Restaurant. Sensationell die Abende, wenn die tagsüber fast menschenleere Fußgängerzone schlagartig zur Flaniermeile für alle und jeden wird. Dann herrscht eine tolle Atmosphäre in der lebendigen, fröhlichen Stadt.

 

Chefchaouen wiederum gibt es im Grunde zweimal. Einmal als Altstadt mit den berühmten blauen Häusern am Hang, einmal als "normaler" Wohnort drumherum. Die Verbindung zwischen beiden Ortsteilen beschränkt sich auf Handelsbegegnungen, denn die berühmte Altstadt mit ihren engen, blauen Gassen ist so etwas wie eine Open-Air-Shoppingmall für Touristen aus aller Welt. Was von den angepriesenen Waren tatsächlich vor Ort hergestellt wurde und was billig aus China importiert wurde entzieht sich allerdings meiner Kenntnis. Chefchaouen ist einer dieser Ort, in dem die Generation Instagram/Influencer reichlich unterwegs ist. Überall werden Posen gestemmt, um beim Fotoshooting vor blauer Häuserwand perfekt auszusehen. Ich will das gar nicht bewerten, der Kontrast zu den Einheimischen war jedenfalls frappierend. Hat da irgendjemand wirklich Interesse am besuchten Ort? Mein Highlight wiederum war das Team von MiDo'S, das wunderbare Veggieburger zaubert und den bislang arg mit Marokko hadernden Vegetarier in mir jubeln ließ. (weiter nach der Fotostrecke)  

Die Landschaft zwischen den Städten ist nach dem langen Sommer ausgebrannt und seltsam farblos. Hier und da stemmt sich ein Gestrüpp gegen den Hitzetod, doch grün wird es nur, wenn bewässert wird. Was nur in den Luxuslagen geschieht. Es liegt unfassbar viel Müll rum, und dass Plastiktüten in Marokko seit 2016 verboten sein sollen ist nirgendwo zu spüren. Bei jedem Einkauf gibt es wieder eine neue, und wenn ich dann auf meinen Rucksack zeige und "La choukran" sagen (Nein danke) ernte ich Blicke, hinter denen vermutlich Gedanken wie "Ach, wieder so ein Deutscher" stehen. Bis zur Energiewende ist es im marokkanischen Alltag jedenfalls noch ein ordentliches Stückchen, zumal da ja noch das Abgas-Thema auf den Straßen ist.

 

Marokkos Attraktion sind seine Menschen. Wenn ich mit meinem Bike auftauche gibt es regelmäßig Daumen hoch, Gehupe oder anerkennendes Nicken. In Tangier musste ich heute einen 18-Prozent-Anstieg hochschieben und bekam allerlei aufmunternden Worte. Mitgeschoben hat dann aber auch niemand 😄 Marokkaner (männliche Form korrekt, mit Frauen habe ich kaum Kontakt) sind zudem Sprachenkünstler. Viele können sogar ein paar Brocken Deutsch, weil irgendein Verwandtschaftszweig in Deutschland lebt. Das erleichtert einerseits die Kommunikation, macht sie andererseits aber schwieriger, weil ich ständig zwischen Englisch, Französisch und Spanisch hüpfe, was mich ziemlich kirre macht. Arabische Wörter hingegen gehen bislang eher schleppend über meine Lippen, wobei ich gestern Abend in Tetouan von der (weiblichen!) Belegschaft einer Bäckerei einen wunderbaren Einführungskurs in den Basiswortschatz bekam und sich alle freuten, als ich mich anschließend flüssig mit "Bsslama" verabschiedete - "Tschüß". Die Bäckereien sind hier übrigens Radlers Freund. Vor allem die an Baklava erinnernden, klebenden Köstlichkeiten gehen direkt in den Maschinenraum des Pedaleurs und lösen dort wahre Zauberkräfte aus.

 

Ansonsten bleibt Essen ein Thema. Also vegetarisches Essen. Es gibt kaum etwas. Und wenn, dann überall das gleiche: Pizza 4 Fromages oder Spaghetti 4 Fromages. Selbst Tajine oder Couscous kommt immer mit Fisch, Fleisch oder Geflügel. Es bleibt die Hoffnung, dass sich das bessert, wenn es weiter Richtung Süden geht.

 

Bsslama aus Asilah, votre hardy cyclist Aleman!

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Kommentare: 1
  • #1

    Michael Hoeller (Donnerstag, 26 September 2024 11:18)

    Schöne Reiseerzählung. Ich mag das. Als es noch keine Smartphones gab, bin ich mal mit dem Fahrrad auf dem Weg von Köln nach Aachen unversehens auf eine Autoschnellstrasse oder Autobahn (?) geraten. Fanden weder die Autofahrer noch ich cool. Horror! Respekt, das Du Dich da durch Hitze, Müll u Gestank quälst.