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ALBANIEN Der Abschied

Angesichts der Gruppengegner Spanien, Italien und Kroatien kam das EM-Aus der albanischen Auswahl nach der Vorrunde sicher nicht überraschend. Doch Albanien hat einen vorzüglichen Eindruck hinterlassen in Deutschland. Eine starke Mannschaft, die gegen alle drei namhaften Gegner ordentlich mitspielte und durchaus den einen oder anderen Punkt mehr hätte erzielen können. Eine imposante Fanschar, die tolle Stimmung verbreitete und Werbung für das kleine Balkanland machte.

Und doch kommt nun der Abschied, auch für meine kleine Reise durch mein Buch "Onkel Enver, der Fußball und eine Radreise durch Albanien". Wer mehr wissen möchte über das wunderbare Albanien kann das Buch portofrei über den Zeitspiel-Shop direkt hier bestellen


Der Abschied

Am Morgen der Abreise stellt sich Wehmut ein. Gestern Abend habe ich mich mit Astrit getroffen und ein letztes Mal die albanische Gastfreundschaft genossen. Während ich in meine vollkaskogesicherte Komfortzone zurückkehre, bleibt ihm nur die Hoffnung auf die Zukunft. Darauf, dass es sein Sohn in den Profifußball schafft und er in Deutschland bleiben kann. Darauf, dass sich Albanien weiterentwickelt und die Rückstände aufholt. Darauf, dass seine Kinder eine bessere Zukunft haben und sich die Hoffnung von Samuel, seinem ausreiseentschlossenen 16-Jährigen, erfüllen. Astrit ist zuversichtlich, dass alles gut wird. „2000 waren die Straßen noch eine Katastrophe, alles war kaputt“, sagte er: „2010 war es besser, jetzt ist es meistens gut. In zehn Jahren wird in Albanien also vieles anders sein. Besser.“ Skeptisch ist er dennoch: „Ob wir dann noch die Gastfreundschaft von heute haben, bezweifle ich. Unsere Traditionen verändern sich. In Albanien galt immer, dass sich eines der Kinder um die Eltern kümmert. Wir haben drei Kinder, doch ich glaube nicht, dass sich eins davon um uns kümmern wird.“

 

Wo Albaniens Weg hinführt ist offen. Tirana jedenfalls liegt im Trend und gilt als eine der aufregendsten Hauptstädte Europas. Junge Leute aus aller Welt lassen sich von einer Atmosphäre des Aufbruchs, der ewigen Party und des günstigen Lebens anlocken. Doch während digitale Arbeitsnomaden die exzellenten Bedingungen genießen, wollen Einheimische mit Uniabschluss weg aus ihrer Heimat. Große westeuropäische Unternehmen scouten inzwischen systematisch im Land und locken vor allem Fachkräfte aus Medizin und der Pflegebranche. Die Folgen zeigten sich im Frühjahr 2020, als die Krankenhäuser in der Corona-Pandemie personell sofort ans Limit gerieten und es einen scharfen Lockdown gab. Selbst das Autofahren war verboten — als würde Albanien zurück in die Vergangenheit reisen, als niemand ein Auto besitzen durfte.

 

Politisch steckt das Land zwischen zwei Großparteien fest, deren Namen „Sozialistisch“ bzw. „Demokratisch“ bestenfalls plakativ gemeint sind. Denn es sind unverändert die mächtigen Clans, die die Richtung vorgeben und verhindern, dass Albanien zu einer wirklichen Demokratie wird. Korruption und Vetternwirtschaft würgen demokratische Prozesse ab, die gesellschaftliche Spaltung ist immens. Wer Geld hat, kann sich alles leisten. Wer keins hat, fällt durch alle Raster. Ein Aufstieg mit legalen Mitteln ist schwer, Drogenhandel gilt als direkter Weg zum Reichtum.

 

Linke, sozialdemokratische Politik hat es schwer in einem Land, in dem im Namen des Sozialismus immenser Schaden in den Köpfen und Seelen der Menschen angerichtet wurde. Dazu kommt der Schatten von Enver Hoxha, der einerseits als „Tyrann“ bezeichnet wird, dessen Erbe aber zugleich auch oft verklärt wird. Manchmal sprechen die Menschen fast väterlich über ihn. Hoxhas Aura überstrahlt häufig sein düsteres Erbe. Andere wiederum wollen nicht mehr über ihn reden, wollen den Sozialismus endlich hinter sich lassen. Als Blendi Fevziu im Oktober 2011 die Hoxha-Biografie „The Iron Fist“ veröffentlichte, stritt sich ganz Albanien über das Buch. Die einen wollten die Vergangenheit endlich verstehen, die anderen verdammten es. Darunter waren rechte Nationalisten, die in einem Angriff auf den Steinzeitstalinisten einen Angriff auf Albanien sahen. Es ist kompliziert mit Albanien und seiner Vergangenheit. 

 

Roden, in dessen Wohnung ich die letzten Tage in Tirana verbracht habe, ist einer von denen, die versuchen, etwas im Land aufzubauen. „Ich will Albanien nicht verlassen, ich lebe gerne hier, ich liebe mein Land. Aber die Bedingungen sind schrecklich. Man muss für alles bezahlen, es gibt keinerlei Stabilität. Selbst wenn ich einen festen Job habe, kann der von einer auf die andere Minute weg sein. Das macht es so schwierig, sich etwas aufzubauen. Man kann nichts planen, sich auf nichts verlassen. Und die Politik mischt überall mit. Du siehst es ja im Fußball. Die Demokraten sind Tirona, die Sozialisten Partizani. Der Konflikt wird überall reingetragen. Wir sind da ohnmächtig.“

 

Seine Zukunftsanalyse klingt düster. „Korruption gibt es schon lange in Albanien. Es war jedoch immer Korruption auf ‚normalem‘ Level. Sie war überall, wie selbstverständlich. Das Geld blieb zumindest im System, im Land. Jetzt haben wir Korruption von ganz oben. Das Geld geht jetzt ins Ausland, vor allem in Offshore-Länder. Albanien hat nichts davon. Wir bluten immer mehr aus. Es ist die Hoffnung, die vielen fehlt. Wenn ich krank bin, muss ich alles selbst bezahlen. Es gibt zwar eine staatliche Versicherung, aber von der bekomme ich nichts. Und wenn ich wirklich Hilfe oder Medikamente brauche, muss ich bestechen oder in eine Privatklinik gehen, die teuer ist. Die Leute, die das Land verlassen, sind ja nicht die Armen, sondern die gut Ausgebildeten, die gut verdienen. Ein Freund von mir ist Doktor. Er ist nach Deutschland gegangen. ‚Ich will, dass sich meine Kinder entwickeln können‘, hat er gesagt. Ich kann es verstehen. Letztes Jahr war ich mit meiner Freundin in Norwegen. Wir waren beeindruckt von den funktionierenden Strukturen. Das haben wir hier nicht.“

 

30 Jahre nach der Revolution gibt es mehr Albaner, die die Zeit des Staatsgefängnisses nur aus Erzählungen der Großeltern oder Eltern kennen. Sie suchen weniger nach Aussöhnung mit der Vergangenheit als vielmehr nach eine stabilen Zukunft. Ob im Land oder außerhalb. Ihr Leben findet in der Gegenwart statt, und darauf zu warten, dass es „irgendwann“ mal besser wird fällt schwer, wenn die Lebensuhr unbarmherzig weitertickt. Zumal die Möglichkeiten woanders natürlich auch in Albanien via Smartphone zu sehen sind.

 

Zugleich sind Albaner so identitäts- und heimatverbunden, wie vielleicht kein anderes Volk in Europa. Albaner bleibt man immer, selbst, wer anderswo geboren wurde, dort aufwuchs und nicht einmal Albanisch spricht. Der Doppeladler ist die große emotionale Identifikationsklammer. Das zeigen albanische Weltklassefußballer wie Granit Xaxha oder ???, die für andere Länder im Einsatz sind und trotzdem ihre albanische Identität betonen. Und das zeigt sich tagtäglich auch in Deutschland. Als ich 2020 im Albanien-Jersey durch Ostdeutschland radle, treffe ich überall Albaner oder Kosovo-Albaner, die mich fröhlich mit dem Doppeladler-Symbol grüßen. Darunter einige, die noch nie in ihrem Leben in Albanien waren. „Albaner ist man für immer“, sagen sie voller Stolz.

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