Albanien gegen Spanien - da fällt mir das Jahr 1997 ein. Damals wollte ich zum ersten Mal Albanien bereisen und saß bereits auf gepackten Koffern, als der Zusammenbruch des Geldsystems das Land ins Chaos stürzte. Polizeistationen und Kasernen wurden gestürmt, plötzlich hatte jeder eine Waffe und ich blieb lieber daheim. Auch der Fußball war damals betroffen, denn Albanien musste seine WM-Qualifikationsspiele gegen die Ukraine und Deutschland in Spanien austragen.
Die Lage im Land war dramatisch. Viele Albaner verloren seinerzeit ihre gesamten Ersparnisse, und das ohnehin schon gebeutelte Land rutschte noch tiefer in die Krise. Ein Bürgerkrieg konnte nur knapp vermieden werden, doch erneut verlor Albanien viele Menschen durch Massenflucht. Darunter ein U21-Nationalspieler namens Igli Tare, der schließlich in Deutschland landete.
Hier ein Auszug aus meinem Buch "Onkel Enver, der Fußball und eine Radreise durch Albanien"
Igli Tare und der Zusammenbruch 1997
Albaniens Fußball litt schwer unter der Eskalation. Am 2. April 1997 sollte die Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation dem DFB-Team gegenüberstehen. In zahlreichen Städten hatten Warlords die Kontrolle an sich gerissen, der Flughafen von Tirana wurde nicht mehr angeflogen, der Spielbetrieb der Nationalliga ruhte bereits seit Februar. „Wenn man die aktuellen Berichte aus Albanien sieht oder liest, muss man sich wirklich fragen, ob es richtig ist, das Spiel durchzuführen“, kommentierte Bundestrainer Berti Vogts. Ebenso wie zwei Begegnungen der albanischen U21 sowie das A-Qualifikationsspiel gegen die Ukraine wurde die Begegnung gegen Deutschland schließlich nach Spanien verlegt.
„Der Fußball in Albanien hat ziemlich verloren, wir haben dort keine Zukunft mehr“, sagte U21-Nationalspieler Kreshnik Zeka und setzte sich gemeinsam mit acht Teamkollegen ab: „Unser Leben ist nicht sicher. Fußball ist alles für uns – wir wollen in Spanien bleiben.“ Zekas Mitspieler Adrian Dashi und Edi Martini landeten damals in Frankfurt. „Wir haben gesehen, was alle Albaner gesehen haben“, sagte Dashi gegenüber dem „Spiegel“: „Morde und Plünderungen. Und dass nichts mehr ist, wie es vorher war“. Eingefädelt hatte ihre Flucht Hans-Jürgen Schwätzel, ehemaliger Präsident des FV Speyer, der bereits acht Fußballflüchtlinge vom Balkan bei Vereinen in Deutschland untergebracht hatte. „Unmittelbar vor ihrem Rückflug in die Heimat meldeten sie sich auf dem Madrider Airport bei der Polizei mit der Bitte um politisches Asyl“, rekonstruierte der „Spiegel“ die Flucht des Duos: „Das Angebot der spanischen Behörden, wie jeder Asylbewerber erst mal in einem Auffanglager des Roten Kreuzes unterzukommen, nahmen sie dann doch nicht an. Rasch suchten die Albaner das Weite.“ Ihre Perspektiven waren allerdings schlecht. Seit mehreren Jahren drängten Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien in den deutschen Profifußball. Zudem galten verschärfte Asylbedingungen und Einwanderungsregeln. Binnen vier Wochen musste man einen gültigen Arbeitsvertrag vorlegen. „Das führt dazu, dass einige Spieler hemmungslos ausgenutzt werden“, sagte Vermittler Schätzel dem „Spiegel“.
Martini und Dashi hatten Glück. Es sei „ein Gebot der Menschlichkeit“, einem Volk in Schwierigkeiten „die Werte des Lebens zu schenken“, sagte Eintracht-Frankfurt-Schatzmeister Gaetano Patella und gab sowohl dem 22-jährigen Martini als auch dem ein Jahr jüngeren Dashi einen Einjahresvertrag. Martini wollte sich daraufhin „in vollstem Vertrauen auf meine Beine“ für ein besseres Angebot empfehlen, während Dashis Vater skeptisch war. „Papa ist der Vertrag zu lang und das Gehalt zu gering“, so Sohn Adrian. Als Frankfurts Geschäftsstellenleiter Klaus Lötzbeier daraufhin ultimativ mitteilte, „entweder du akzeptierst. Oder du suchst dir einen anderen Verein. Oder du gehst zurück“, unterschrieb auch er. Weder Dashi noch Martini konnte sich jedoch durchsetzen.
Die A-Auswahl, bis auf drei Ausnahmen mit bereits im Ausland spielenden Akteuren bestückt, verlebte turbulente Tage in Spanien. „Jeder ist im Kopf nicht ganz klar“, sagte Nationaltrainer Astrit Hafizi. „Wir müssen beweisen, dass der Fußball noch in den Herzen lebt.“ Das Zuschauerinteresse an Albaniens Spielen in Spanien war gleich null. Gegen die Ukraine sahen 136 ein 0:1. Das 2:3 gegen die DFB-Auswahl lockte immerhin 5.000 an, und wie immer hatte Deutschland mit den Skipetaren Probleme. Erst ein Hattrick des nach einer Stunde eingewechselten Ulf Kirsten brach den Bann. Für Albanien liefen unter anderem der beim hessischen Fünftligisten Viktoria Griesheim spielende Verteidiger Zamir Shpuza sowie Ervin Lamce vom Hamburger Viertligisten VfL 93 auf, während Edmir Bilali, in Diensten des südbadischen Verbandsligaklubs FC Steinen-Höllstein stehend, auf der Bank saß.
Sein Debüt feierte an jenem 2. April 1997 der aus Vlora stammende und bei Partizani groß gewordene U21-Nationalspieler Igli Tare, dessen Weg exemplarisch für Albaniens Schicksal steht. Im Winter 1992 zahlte der damals 17-Jährige einem Fluchthelfer umgerechnet 800 Euro und stapfte dafür stundenlang durch verschneite Wälder, um in die Bundesrepublik zu kommen. Dort kam er zunächst bei Cousins in Ludwigshafen unter, die zwei Jahre zuvor bei der Besetzung der deutschen Botschaft in Tirana dabei gewesen waren und in die Bundesrepublik hatten einreisen dürfen. Walter Pradt, einst Bundesliga-Torwart beim SV Waldhof und inzwischen Mitarbeiter des Sozialamtes in Mannheim, verschaffte Tare einen Job beim Grünflächenamt und holte den Stürmer zum Oberligisten Südwest Ludwigshafen, wo er als Trainer arbeitete. Glücklich wurde der Albaner dort jedoch nicht. 2003 schrieb Tobias Schächter in der „TAZ“: „Das Essen brachte ihm der Masseur, die Sprache brachte er sich mühsam selbst bei. Auch sportlich lief nicht viel zusammen. Der 1,91 m große Hüne schleppte zu viele Kilo über die Sportplätze. Und er war kein Ausnahmetalent, kein Rohdiamant. Eher sahen viele in ihm einen untalentierten Klotz.“
„Die ersten drei Jahre in Deutschland waren die schlimmsten meines Lebens“, sagt Tare rückblickend: „Ich war überhaupt nicht integriert und zog mich immer mehr zurück.“ Eine neue Kultur, eine neue Sprache, keine Freunde und statt Bundesliga nur Oberligaspiele gegen Teams wie Eisbachtaler Sportfreunde oder TSG Pfeddersheim, bei denen er zudem oft sogar nur auf der Bank saß. Tare wechselte zum VfR Mannheim, kam dort auch nicht über die Ersatzbank hinaus, ging nach Ludwigshafen zurück. Seine Profiträume schienen geplatzt zu sein, als ein albanischer Geschäftsmann ihn im April 1995 zum Probetraining beim Karlsruher SC mitnahm. Dort kickte er mit Thomas Häßler, der 1990 mit Deutschland Weltmeister geworden war, während in Albanien das kommunistische Regime gestürzt wurde. KSC-Trainer Winfried Schäfer schickte den Albaner in die zweite Mannschaft, wo der kantige, oft etwas unbeholfen wirkende Stürmer erstmals seine Stärken zeigen konnte. Am 17. September 1996 debütierte er beim 0:2 gegen den VfB Stuttgart in der Bundesligamannschaft, konnte sich in Karlsruhe aber keinen Stammplatz erspielen. 1997 zog er weiter zum Zweitligisten Fortuna Düsseldorf. Schoss 24 Tore in 63 Spielen, wurde zum Liebling der Fans und im April von Astrit Hafizit in die Nationalmannschaft berufen. Beim 3:4 im WM-Qualifikationsrückspiel gegen Deutschland sechs Monate in Hannover machte er das Spiel seines Lebens. Schoß ein Tor, spielte Jürgen Kohler schwindlig. In einer verrückten Partie gelang Oliver Bierhoff erst in der Nachspielzeit das Siegtor, wurde eine historische Pleite abgewendet. Tare: „Seit diesem Tag hatte ich endlich Selbstvertrauen“. Zwei Jahre später ging er nach Kaiserslautern, wo sie erst über ihn lachten und ihn dann zum Fußballgott machten. Richtig glücklich wurde Igli Tare allerdings erst in Italien, wo er 2001 mit Brescia den Sprung in der Serie A schaffte und sich endlich anerkannt fühlte. Er lebt noch immer dort, spricht inzwischen fünf Sprachen und ist seit 2009 Sportdirektor bei Lazio Rom.
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