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ALBANIEN Das Wunder von Elbasan

Elbasan ist eines dieser vielen Freilichtmuseen in Albanien. Eine Stadt mit turbulenter Geschichte. Die Altstadt aus Osmanischen Tagen, wunderschön und verwunschen. Die Neustadt aus brüchigem sozialistischen Beton und das gigantische Stahlwerk, bei dem einst 12.000 Menschen in Lohn und Brot standen, nur noch eine kleine Klitsche in türkischen Händen mit kaum 600 Angestellten.

Der lokale Fußballklub KF Elbasan ist abgestürzt in die 2. Liga, wo sich kaum noch jemand ins für albanische Verhältnisse moderne Stadion verirrt. Wohlwollend 100 Gestalten verteilen sich auf den Rängen, als ich einem wohlwollend mit "mässig" umschriebenen Spiel gegen Devolo beiwohnte, das die Gastgeber auch noch verlieren. Um Elbasans Fußball steht es nicht gut. 1984 war das anders. Da wurde der damalige KS Labinoti zum ersten Mal Landesmeister. Völlig überraschend und entgegen jeglicher Pläne. Nachstehend ein Auszug aus meinem Buch "Onkel Enver, der Fußball und eine Radreise durch Albanien"


"Stahl der Partei"

Elbasans Meisterschaft 1984 galt als Sensation. Nie zuvor war der Titel in eine andere Stadt als Tirana oder Shkodra gegangen. Es war eine denkwürdige Zeit für den albanischen Fußball. Die Nationalmannschaft träumte nach einem 2:2 in Polen und einem 2:0 gegen Belgien sogar von der WM-Teilnahme. Das abgeschottete Armenhaus Europas beim Endturnier in Mexiko – das war ein geradezu unvorstellbares Bild. Und es kam auch anders, denn danach holte Albanien nur noch ein 1:1 gegen Griechenland, platzten die kühnen Träume des kleinen Landes wie Seifenblasen.

 

Im Schatten der Aufregung um die Landesauswahl entwickelte sich in Elbasan tatsächlich ein Fußballwunder. Das hatte mehrere Gründe. Während die Konkurrenz aus Tirana und Shkodra das Gerippe der Nationalmannschaft stellte, stand in Elbasan kein einziger Nationalspieler im Kader. Die Elf von Trainer Frederik Jorgaqi, 1967 beim legendären 0:0 gegen Deutschland als Verteidiger dabei, konnte sich also voll auf die Liga konzentrieren und profitierte zudem von Formschwankungen der anderen Spitzenteams. „Labinotis Spieler waren wie eine isolierte Insel, die beschlossen hatte, allein gegen alle zu kämpfen“, schrieb Besnik Dizdari, Chefredakteur der Sportzeitung „Sport Popullor“.

 

Das Erfolgsrezept des krassen Außenseiters hieß Kampf, Kampf und nochmals Kampf. Denn spielerisch war man der Konkurrenz hoffnungslos unterlegen. Aber Labinoti war hartnäckig, kämpfte verbissen um jeden Punkt. Ausgerechnet am 16. Oktober 1983, dem 75. Geburtstag von Enver Hoxha, der im ganzen Land pompös gefeiert wurde, eroberte sich der Underdog mit einem 2:1 bei Regimeliebling Dinamo Tirana die Tabellenführung. Das hatte nicht in den Drehbüchern der Geburtstagsfeierlichkeiten gestanden! Die Jorgaqi-Elf wurde dennoch weiter unterschätzt, denn zum Erstaunen aller sollte die Mannschaft um den nur 1,77 m großen Torhüter Bujar Gogunja mit 20 Wochen in Folge auf Platz 1 einen neuen Landesrekord aufstellen und den Titel holen. Ebenso schnell, wie Labinoti nach oben gestürmt war, stürzte das Team allerdings 1984/85 auch wieder ab und wäre um ein Haar als amtierender Meister sogar abgestiegen.

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