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ALBANIEN Bei den Partizani-Ultras

Nach meiner Ankunft in Tirana suchte ich Kontakt zu den beiden lokalen Ultragruppen des KF Tirana ("Tirona") und von Partizani. Beide Vereine trennt die schwierige Vergangenheit, in der Tirona als historisch bürgerlicher Verein zunächst stark litt und später als KS 17 Nëntori zur dritten Kraft in der Hauptstadt aufstieg - nach Partizani bzw. Dinamo.

Nach der Revolution änderte sich das, wurde Tirona zum neuen hauptstädtischen Flaggschiff. Das Verhältnis zwischen beiden Ultra-Gruppen ist angespannt. Zugleich ist Tirana aber so klein, dass man sich im Alltag ständig begegnet und entsprechend arrangiert. Einen Tag, nachdem ich mich mit einem Mitglied der Tirona-Ultras unterhalten habe bin ich zu Gast bei Partizanis "Guerrils". Hier aus Auszug vom Treffen aus meinem Buch "Onkel Enver, der Fußball und eine Radreise durch Albanien"


Abstieg in die Ultra-Welt

Tironas Ultra-Gruppe „Fanatics“ fällt regelmäßig durch rechtsgerichtete Parolen und Aktionen auf. Das ist das erste, was man mir am nächsten Abend im Hauptquartier der Partizani-Ultras über den Lokalrivalen erzählt. Die „Guerrils“ geben sich dezidiert links und folgen damit der Philosophie einer sozialistischen Sportgemeinschaft, wenngleich der Hintergrund ihres Klubs als ehemaliger Armeeverein ein diffuses Bild zeichnet.

 

Der Kontakt zu den Partizani-Ultras war nicht einfach herzustellen. Schon lange vor dem Start meiner Reise wechselten Textbotschaften hin und her, gab es vage Zusagen zu einem Treffen, wenn ich erstmal vor Ort sei. Erst am letzten Abend klappte es. Eine dreiköpfige Delegation holt mich am Skanderbeg-Platz ab. Gemeinsame Sprache ist Englisch. Ich werde kritisch beäugt von den jungen Männern, die Anfang 20 sind und meine Söhne sein könnten. Es beginnt mit ein bisschen Smalltalk, dann sagt einer von ihnen „Wir gehen jetzt zu unserem Hauptquartier“. Die erste Vertrauenshürde ist offenbar geschafft. Im Zick-Zack marschieren wir durch die Innenstadt. Bald habe ich die Orientierung verloren, weiß nicht mehr, wo wir hergekommen sind. Die Straßen werden enger, die Häuser älter, das Ambiente rauer. Auf den Bürgersteigen stehen Gruppen junger Männer in Muskelshirts und trinken Bier. Noch einmal geht es um die Ecke, dann sagt einer: „Wir sind da“.

 

Auf einer ins Untergeschoss führenden Treppe warten rund 15 junge Kerle mit Kurzhaarschnitt und stabilem Körperbau. Ich werde vorgestellt, grüße die Runde mit ein paar Albanisch-Brocken und wechsle dann zu Englisch. Einer blafft „On parle français ou pas!“ – wir sprechen Französisch oder gar nicht! Ich blicke in die Runde, frage auf Französisch, ob alle einverstanden sind. Sind sie nicht, denn kaum jemand spricht die Sprache. Wir bleiben also bei Englisch, doch offenbar habe ich den nächsten Test bestanden, denn nun öffnet sich das Spalier muskelgestählter Männerleiber und ich kann die Treppe hinuntergehen.

 

Im zum Gruppenraum ausgebauten Keller bewegt sich die heiße Saunaluft keinen Millimeter. Auf einer Leinwand läuft irgendein Fußballspiel. EM-Qualifikation. Kosovo gegen Tschechien. Wir nehmen auf einem Sofa aus Kunstleder Platz. Das Material lässt mich noch mehr schwitzen. Dann kommt der Capo, der Anführer der „Guerrils“. An seiner Seite zwei junge Boliden. Ein Nachwuchsultra kriegt ein paar Leke in die Hand gedrückt und wird zum Bierholen geschickt. Er kehrt mit acht Anderthalbliterflaschen zurück. Ich schlucke. Alkohol ist nicht so mein Ding. Wir stoßen an, ich erzähle von meiner Tour, die morgen startet, weshalb ich mit dem Alkohol etwas aufpassen muss. Auf Handzeichen wird eine Wasserflasche dazugestellt. Glück gehabt.

 

Zunächst muss ich Fragen beantworten. Wie ich die Fußballwelt sehe, was ich von Ultras halte, wie meine Fanbiografie verlaufen ist. Da ich mit meinen Vereinen Göttingen 05, Bristol Rovers und En Avant Guingamp nicht in Verdacht gerate, Erfolgsfan zu sein, bestehe ich auch diese Prüfung. Ich erzähle vom Fußball in Buenos Aires, Deutschland und England, von meinen Büchern und der Philosophie des „Zeitspiel“-Magazins. Langsam werden wir warm miteinander. Beim Thema Kommerzialisierung und Veränderungen der europäischen Fußballkultur finden wir endgültig zueinander und die Atmosphäre entspannt sich. Die Gruppe erzählt von befreundeten Fans der BSG Chemie Leipzig, die ab und an nach Tirana kommen.

 

Partizani hat schwere Jahre hinter sich, die im Frühsommer mit der ersten Landesmeisterschaft seit 1993 endeten. „Ich bin 1996 geboren“, erzählte der Capo. „Wir haben lange auf diese Meisterschaft warten müssen, die für uns alle die erste ist. Sie war sehr wichtig für uns.“ Während der Sturz des Regimes für Erzrivale Tirona eine Befreiung war, bedeutete er für Partizani, bis dahin Team des Verteidigungsministeriums und gemeinsam mit Dinamo Liebling des Regimes, einen tiefen Einschnitt. 1991 wurde man als erster Fußballklub in Albanien privatisiert. Während vor Gericht mit der Armee über die ungeklärten Besitzverhältnisse gestritten wurde und sich das Team 1993 zum vorerst letzten Mal die Landesmeisterschaft sicherte, übernahm Geschäftsmann Albert Xhani die Führung. Sportlich ging es nach dem Pokalsieg 1997 steil bergab, und drei Jahre später musste Partizani erstmals in der Klubgeschichte in die zweite Liga. Sofort zurückgekehrt, kam 2009 der erneute Abstieg. Präsident Xhani stellte daraufhin sämtliche Zahlungen ein, und 2010/11 wurde Partizani mit lediglich 16 Toren in 30 Spielen in die 3. Liga durchgereicht.

 

„Das waren kritische Tage“, erzählen mir die „Guerrils“. Vor allem Präsident Xhani wurde zum Feindbild. „Wir haben überlegt, ‚schlagen wir ihn zusammen?’. Einige von uns mussten in den Knast, die Medien haben ständig negativ über uns berichtet, es war eine sehr angespannte Zeit. Nach zwei Monaten ging Xhani dann endlich, und das Verteidigungsminsterium übernahm wieder die Verantwortung. Damals saß nur noch der Busfahrer auf der Tribüne.“ Die Rückkehr in die zweite Liga glückte, und anschließend marschierte Partizani ins Oberhaus durch. Albanien hatte seinen Fußballstolz zurück.

 

Dass der Verein überlebte, verdankte er nicht zuletzt den „Guerrils“. „In der 3. Liga war der Klub quasi tot. Wir hatten kein Geld, kein Stadion, nichts. Wir haben Partizani dann in einen Fanverein verwandelt. Unser Motto hieß ‚Ju kurrë nuk do tö jeni vetëm‘ – Du wirst niemals allein sein. Schau Dir die Bilder an, wir waren auf allen Dorfplätzen mit dabei und haben die Mannschaft unterstützt. Es war eine schwere Zeit. Doch überall in Albanien gibt es Partizani-Fans. Die kamen zu den Spielen, das waren oft große Feste.“

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