· 

ALBANIEN und Italien

Albanien und Italien sind nicht nur durch die Adria getrennte Nachbarn, sondern auch durch eine besondere Geschichte miteinander verbunden. Im Zweiten Weltkrieg nutzte Mussolini die Chance und besetzte das Land. Als Italien im Mai 1943 kapitulierte, rückte die Wehrmacht nach und installierte ein Terrorregime, das von den Partisanen um den späteren Diktator Enver Hoxha bekämpft wurde.

Es gibt viele Ereignisse aus dieser Zeit, in der Grundlage zur Volksrepublik Albanien gelegt wurde, von denen ich in meinem Buch "Onkel Enver, der Fußball und eine Radreise durch Albanien" erzähle.

 

Darunter auch die der unter der Wehrmacht einsetzenden Judenverfolgung, die in Albanien weitestgehend scheiterte. Das lag nicht zuletzt am uralten Verhaltenskodex "Kanun", in dem die Regeln der Gastfreundschaft festgeschrieben sind. Nach dem Krieg und der Besatzung gab es in Albanien sogar zehnmal mehr Juden als vorher - das Land war zum Zufluchtort geworden (mehr im Buch).

 

Aber zurück zu Italien, das im Laufe des Buches immer wieder Thema ist - als Fluchtort nach der Revolution sowie dem drohenden Bürgerkrieg 1997, als Sehnsuchtsort, als Gastgeber der WM 1990,als die Revolution in Tirana richtig losgeht und nicht zuletzt als Heimat des Lieblingsvereins, denn in Albanien stehen Juve und Co hoch im Kurz. Nachstehend ein paar Auszüge aus dem Buch.


Aus dem Kapitel "Zu Gast bei Familie Gjana"

Als wir zum Fußball kommen leuchten seine Augen auf. „Ich war ein paar Mal in Tirana im Stadion und habe Kukës spielen sehen. Wegen des Stadionumbaus spielt die Mannschaft ja zur Zeit dort. Aber Albaniens Fußball ist kaputt. Der Präsident von Kukës ist ein Businessman. So nennen wir Leute, die ihre Finger überall drin haben. Er hat ein Sicherheits-Unternehmen, eine Baufirma und macht irgendwas mit Bergbau. Er kommt ursprünglich aus Kukës und sagt, er will der Stadt etwas zurückgeben. Dafür hat er viele Spieler von außerhalb geholt. Jetzt spielt Kukës Europapokal. Aber er steckt in den üblichen Strukturen. Korruption, Geldwäsche, Wettbetrug. Politik. Albanien eben. Ich gehe inzwischen nicht mehr ins Stadion. Es ist einfach zu deutlich, dass alles abgesprochen ist.“ Wir schweigen einen Moment. Dann sagt er: „Aber für Kukës ist Fußball trotzdem wichtig. Es gibt da ja nichts“.

 

Dann leuchten seine Augen. „Mein Team ist Juventus“, grinst er. „1998 habe ich mein erstes Juve-Spiel im Fernsehen gesehen. Danach habe ich mir eine SAT-Schüssel besorgt und die Spiele im italienischen Fernsehen gesehen. Ich fand allein das schwarz-weiß gestreifte Trikot cool. Und dann die Mannschaft. Nedvěd, Pirlo, Buffon, das war ein tolles Team!“ Im Stadio della Alpi in Turin war er noch nie. „Eines Tages wird es klappen“, sagt er und schaut gedankenschwer in die Landschaft.

 

Im Sommer 1991 flohen Zehntausende auf rostigen Kähnen über die Adria in die Freiheit Richtung Italien. Die Revolution war geglückt, die Diktatur besiegt. Doch Albanien war rückständig wie kein anderes Land im ehemaligen Ostblock. Also versuchten es viele gleich im Ausland — vor allem in Griechenland und Italien. Anfangs wurden sie mit Beifall empfangen und umjubelt. Sie wirkten wie Wesen aus der Vergangenheit. Doch die Stimmung kippte schnell. Als im August über 20.000 Albaner den im Hafen von Durrës liegenden Frachter „Vlora“ stürmten und den Kapitän zwangen, sie nach Bari zu bringen, hatte sich Italien längst zugesperrt. Die Menschen wurden im Fußballstadion notuntergebracht und sich selbst überlassen. Ein paar tausend gelang es, illegal in Italien zu bleiben, die anderen wurden nach Albanien zurückgebracht. Anschließend waren Italiens Grenzen zu für Albaner.

 

Aus dem Kapitel "Der Zusammenbruch 1997"

Keine wilde Legende waren die Ereignisse des Frühjahrs 1997, als sich die Wut der Albaner nach dem Zusammenbruch der Zinspyramiden in nackter Gewalt äußerte und das Land kurz vor einem Bürgerkrieg stand. Vlora war damals Auslöser und Zentrum des sogenannten Lotterieaufstandes, der Albanien vier Monate lang in Atem hielt. „In Vlora gingen Motorradpolizisten und ein Panzer in Stellung, nachdem Aufständige die Filiale der Nationalbank gestürmt hatten“, schrieb die „Frankfurter Rundschau“ am 12. März 1997, während der „Spiegel“ von einem „Festival der Kalaschnikows im ärmsten Land Europas“ sprach und einer „Verwilderung der ganzen Gesellschaft“. Die Bucht von Vlora war damals ein illegaler Umschlagplatz für Waffen und Drogen. Nacht für Nacht fuhren Boote nach Italien und schafften das bei den Menschen eingesammelte Geld aus dem Land.

 

Was Ende 1996 als Finanzkrise begonnen hatte wurde zur schwersten politischen Krise der Neuzeit. Im Zentrum stand Sali Berisha, erster nichtkommunistischer Präsident Albaniens. 25 Jahre lang war der Kardiologe Mitglied in Hoxhas KP gewesen und hatte eine Zeitlang sogar als Leibarzt des schwerkranken Diktators gedient, als er 1990 von Hoxha-Nachfolger Ramiz Alia zu Verhandlungen mit hungerstreikenden Studenten geschickt wurde. Berisha verbündete sich mit den Demonstranten und gründete am 14. Dezember mit der „Partia Democratie e Shqipërisë“ (PD) die erste unabhängige Partei des Landes. Nach seiner Wahl zum Präsidenten im April 1992 versprach er: „Nun hat auch im ärmsten Land Europas die Zukunft begonnen!“.

 

Die war ziemlich düster, denn nach hoffnungsvollem Start ging es mit Albanien rasch bergab. 1996 wurden Berisha bei seiner Wiederwahl dann massive Wahlfälschungen vorgeworfen. Zudem hatte er sich im Wahlkampf von den windigen Finanzkonstrukten unterstützen lassen und seinem in Finanzdingen naiven Volk versichert, deren Zinsversprechen seien „sicher“. Was sie nicht nicht waren. Edi Rama, heutiger Regierungschef Albaniens, schrieb im März 1997 in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“, dass Berisha „die Illusion von Albaniens postkommunistischem Wirtschaftswunder überhaupt erst kultiviert“ habe und zeichnete ein erschreckendes Bild politischer Verantwortungslosigkeit: „Das Wunder nährte sich teilweise aus den Pyramiden-Systemen und dem wahnsinnigen Wunsch der Leute nach sofortigem Reichtum. Aber vor allem war es auf Waffen- und Drogengeschäften gebaut, in einem Arrangement zwischen der Regierung und einer Mafia, die für die Bewegungsfreiheit im Land bereit war zu zahlen.“

 

Auch Luan Rama, Journalist der damals größten unabhängigen Tageszeitung „Koha Jone“, sah Berisha in der Verantwortung für den Zusammenbruch der wirtschaftlichen und politischen Ordnung: „Die Illusion, sich durch das Pyramiden-System zu bereichern, wurde zur einzigen Obsession fast jedes Albaners, verstärkt vielleicht noch durch die Verkündung des Präsidenten, dass das Geld dieser Gesellschaften absolut ‚sauber‘ sei. (…) Die Leute sind enttäuscht von der Regierung und ihrer Demagogie. Die Menschen lebten aus der Hoffnung und dem Wunschdenken, nicht länger das unterdrückteste und ärmste Volk Europas zu sein. Aber die in der Regierung dachten nicht an diese Ambitionen, sondern nur an ihr eigenes Wohlergehen und das des eigenen Clans.“

Während im ganzen Land zwielichtige Gestalten die Kontrolle übernahmen, kam es zu einer erneuten Fluchtwelle nach Italien. Tausende flohen mit allem, was seetüchtig war, über die Adria. Am 28. März 1997 wurde eines der Flüchtlingsboote versehentlich von der italienischen Marine gerammt. 82 Menschen ertranken. Unter ihnen war mit Robert Bajrami ein hoffnungsvolles Fußballtalent von Flamurtari Vlorë.

 

Die internationale Gemeinschaft schaute lange nur zu, was in Albanien passierte, denn zeitgleich drohte der Kosovo-Konflikt in Ex-Jugoslawien zu eskalieren. Viel mehr als die Entsendung des Österreichischen Bundeskanzlers Franz Vranitzky als Vermittler zwischen Berisha und den Aufständigen war daher nicht drin. Erst im April entsandten mehrere europäische Staaten unter Führung von Italien 6.000 Soldaten nach Albanien, die humanitäre Hilfe leisteten und die Voraussetzungen für Neuwahlen schufen. Bei denen setzten sich 29. Juni die Sozialisten um Bashkim Fino durch, woraufhin sich die Lage beruhigte. Um Haaresbreite war das Land an einem Bürgerkrieg vorbeigeschlittert,

 

 

Aus dem Kapitel "Revolution zur Weltmeisterschaft"

Während sich in Tirana Dramen abspielten, traf die deutsche Nationalmannschaft im WM-Halbfinale auf England. Andy Brehme sorgte nach einer Stunde für die Führung, die Lineker zehn Minuten vor Schluss egalisierte. Als Chris Waddle im Elfmeterschießen nur die Latte traf und das DFB-Team zum dritten Mal nach 1954 und 1974 im Endspiel stand, jubelten auch die Flüchtlinge in der bundesdeutschen Botschaft. Am 7. Juli, dem Tag vor dem Finale gegen Argentinien, befanden sich dort exakt 3.199 Menschen. „Sie schliefen im Garten und verrichteten ihre Notdurft in einer neugegrabenen Latrine. Eine Frau brachte in den Tagen ein Mädchen zur Welt, das sie aus Dankbarkeit Germana taufte“, schreibt Abrahams und zitiert eine der Botschaftsflüchtlinge: „Es war sehr voll, aber die Leute waren glücklich. Jeden Abend schauten wir uns Spiele der Fußballweltmeisterschaft im Fernsehen an. Als Deutschland dann den Titel holte, feierten wir eine Party.“

 

Inzwischen gab es in Tirana täglich Demonstrationen, wurden der Chef der Polizei und der Verteidigungsminister, ausgesprochene Hardliner, von ihren Posten abgesetzt. Das Regime bröckelte. Am 8. Juli, dem Endspieltag von Rom, kam ein Gesandter der Vereinten Nationen zu Gesprächen nach Albanien. Es wurde vereinbart, dass die rund 5.000 in die Botschaften Geflüchteten ausreisen durften. Die Nachricht löste schon vor dem Anstoß zum Endspiel Riesenjubel in der bundesdeutschen Botschaft aus. Während die Fußballwelt vor dem Fernseher saß und das WM-Finale schaute, wurden die Flüchtlinge mit Lastwagen und per Bahn nach Durrës gebracht und auf Schiffe verladen, die sie nach Italien brachten. Abrahams: „Bewohner umliegender Dörfer standen am Straßenrand und winkten ihnen zum Abschied zu. Die Menschen in den Bussen schleuderten Armbanduhren und Geld aus den Fenstern, um ihre Vergangenheit endgültig hinter sich zu lassen.“ Ein paar Tage später, das kurz vor der Vereinigung stehende Deutschland empfing gerade seine Weltmeister um Endspiel-Torschütze Andy Brehme, trafen etwa 3.200 albanische Flüchtlinge mit drei Sonderzügen in Deutschland ein.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0