Am 11. September 1993, heute vor 30 Jahren, betrat ich zum ersten Mal die wunderbare Welt der Bristol Rovers.
Die spielte sich damals in der Nachbarstadt Bath ab, wo der ursprünglich aus Nordbristol stammende Klub seit der erzwungenen Aufgabe seines alten Grounds Eastville als Untermieter des Bath City FC in dessen Twerton Park spielte.
Ich hatte keine Ahnung von dem Verein. Es war einfach nur ein weiteres Spiel in England, denn damals war ich oft als Hitchhiker im Königreich unterwegs und pendelte von Stadion zu Stadion.
Bei den Rovers war vieles anders. Der Twerton Park selbst für britische Verhältnisse der frühen 1990er Jahre eine Bruchbude. Hinter dem einen Tor verlief eine Mauer mit einem schmalen Durchgang, durch den man auf die Gegentribüne gelangte. Alles war alt, verrottet, zu Zeitgeschichte geworden. Die Farbe abgeblättert, die Stehtraversen brüchig, die Tribüne ohne jeglichen Komfort und mit einem schiefen Dach. Der Taylor-Report war gerade dabei, seine volle Wirkung zu entfalten, und es war klar: der Twerton Park würde keine Chance haben, ihm jemals gerecht zu werden.
Die Rovers hatten wilde Jahre hinter sich, in denen sie mehrfach vor dem Konkurs standen. Der Verlust des Stadions Eastville 1986, eine triste Anreihung missratener Kalkulationen und Planungen, gekrönt von einem Überfall von City-Fans nach einem Auswärtsspiel, als die Tribüne in Brand gesetzt worden war, der ständige Verlust von Talenten aus der herausragenden Nachwuchsarbeit sowie die anhaltende Heimatlosigkeit bedrohten die Existenz des Vereins. Doch mitten in dieser Krise entstand eine von Eigengewächs Ian Holloway angeführte Mannschaft, die im Exil in Bath sportlich so erfolgreich wie lange nicht mehr spielte. Begleitet von einer Fanschar, die alle Höhen und Tiefen unbeeindruckt mitging und dem Klub damit den Arsch rettete (neben Club Director Geoff Dunford, seit 1964 Fan des Vereins). Rovers-Fan zu sein war damals kein Zuckerschlecken - und ist es bis heute nicht.
Höhepunkt war der 2. Mai 1990, als es im entscheidenden Spiel um die Meisterschaft der damaligen Third Division gegen den Stadtrivalen Bristol City einen 3:0-Triumph gab, der die Rovers nicht nur zum Meister und Zweitligaaufsteiger sondern vor allem zur Nummer 1 in Bristol machte. Die Erinnerung an „The 2nd of May“ wird bis heute von Ian Holloway geprägt, der den Sack mit dem 3:0 vom Elfmeterpunkt zumachte und dafür den ewigen Fangesang „Hurray, hurray, it's Olli Holloway, he took the ball and scored a goal, Olli Holloway“ geschenkt bekam. Inzwischen Fußball-Rentner, findet sich Holloway übrigens heute regelmäßig auf der Hintertortribüne im Memorial Stadium ein und ist wieder zum Fan geworden.
Doch ich schweife ab und gerade ins Schwärmen. Am 11. September 1993 jedenfalls betrat ich zum ersten Mal den Twerton Park. Gegner war Port Vale. Ich erinnere mich nur noch rudimentär an das Spiel, wohl aber an die Atmosphäre. Unter dem Dach der schmalen Gegengerade herrschte beste britische Fußballstimmung, Fröhlich, mit einem kräftigen Schuss Sarkasmus und Selbstironie. Und einem Song, der mich nicht losließ. „Irene goodnight, goodnight Irene, I’ll see you in my dreams“, ging der Refrain. Als ich nach dem Spiel zurückfuhr, hatte ich nicht nur einen neuen Ohrwurm sondern dieses einzigartige Gefühl, wenn man jemandem begegnet ist, bei dem es irgendwie ganz schön gekribbelt hat und man nun aufgeregt neugierig ist, wie es wohl weitergeht. Bei keinem meiner damals durchaus schon üppigen Zahl von besuchten Spielen im Königreich hatte ich nur annähernd ein derartiges Gefühl gehabt und so ahnte ich, dass dies eine ganz besondere Begegnung gewesen war.
Ein Jahr später kam ich zurück nach Bath und zu den Rovers. Ich hatte ihren Weg aus der Ferne Deutschlands verfolgt und aufgehorcht, wenn ich am Samstagabend auf dem britischen Soldatensender BFBS die "classified football results", vorgetragen vom ikonischen James Alexander Gordon, gehört hatte. Dieser zweite Besuch war schon ein bisschen wie Heimkommen. Vor dem Stadion verkauften ein paar Fans in Siebdruck gefertigte T-Shirts mit Vereinswappen. Ich kam ins Gespräch, fühlte mich herzlich willkommen und trat bereitwillig meine Reise ins Herz der Rovers an. Wurde zum Gashead. Denn dieser zweite Besuch bestätigte alle Emotionen, die mich beim ersten Mal erreicht hatten, die damals aber noch unbeantwortet geblieben waren. Irgendwas an diesem Klub war anders. Verheißungsvoll anders.
Rovers till I die, UTG!
Hier noch ein paar Fotos, allerdings nicht vom Spiel 1993 gegen Port Vale sondern vom letzten Spiel dort vor dem Umzug ins Memorial Stadium im August 1996 gegen Peterborough.
Und hier noch die Rovers-Seite aus meinem Buch
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