Losfahren, ohne zu wissen, wann es zurückgeht. Und von wo. Das wollte ich schon immer machen. Nun ist es soweit, und es passt perfekt in die Zeit. Wir wissen ja seit anderthalb Jahren eh nicht, was morgen ist und was morgen geht. Da passt aber leider auch, dass der einzig fix geplante Abschnitt meiner anstehenden Radreise - Abfahrt 7. September 9:15 Uhr in Göttingen, Ankunft 7. September 21:59 Uhr in Verona - aktuell bedroht scheint, weil der Lokführerstreik möglicherweise etwas länger dauern könnte. Das wäre vor allem insofern ärgerlich, als mich der Kauf eines Fahrradtickets für den ICE von Göttingen nach Verona nicht nur viele Stunden, sondern vor allem einige Nerven gekostet hat.
Sollte alles wie geplant klappen, geht es mit dem Improvisationsprogramm schon am ersten Morgen los. Eine Zugfahrt von Verona nach Trieste ist angesagt. Bahnfahren in Italien soll ja ein Abenteuer in sich sein, hab ich mir sagen lassen. In Trieste klettere ich dann endlich auf mein Rad und starte die Reise in das Ungeplante. Grobes Ziel: Griechenland. Irgendwo dort. Aber vielleicht lande ich ja auch ganz woanders.
Balkan Beats 2021. Die Sucht der Träumer auf dem Rad.
Ende 2019 kam ich aus Albanien zurück. Voller Eindrücke, voller Geschichten, voller Begegnungen, von denen viele überwältigend herzlich waren. Anderthalb Jahre hat es gebraucht, die Geschichte in ein Buch zu bringen. Nie zuvor hat mich ein Reisebericht so viel Zeit gekostet, nie zuvor habe ich es mit einer vergleichbaren Leidenschaft geschrieben. Weil Albanien eine Reise war, wie ich sie noch nie gemacht hatte. Und möglicherweise nie wieder machen werde. In ein Land, dessen Menschen über 40 Jahre eingesperrt waren und als Versuchskaninchen für einen Steinzeit-Stalinismus herhalten mussten, der jeglichen Zweifel mit Inhaftierung und oft genug Exekutierung beantwortete. Ich reiste mit vielen Fragen hin, reiste mit noch mehr Fragen durchs Land und bekam viele Antworten, die wieder neue Fragen aufwarfen. Kein Wunder also, dass ich so lange brauchte, um das Buch der Reise zu schreiben. Zu beziehen ist "Onkel Enver, der Fußball und eine Radreise durch Albanien" beim Zeitspiel-Verlag, der es für 25 Euro (inkl. Porto und Verpackung) gerne direkt ins Haus schickt (Auslieferung ab 1. September). Das Buch hat 352 Seiten, enthält rund 400 Bilder und ist ein wilder Ritt durch die Geschichte und Gegenwart Albaniens. Ich erzähle von einer oft überwältigenden Naturlandschaft, sagenhaft gastfreundlichen Menschen, verdammt vielen, verdammt steilen Anstiegen und einem Land, das auch 30 Jahre nach der Revolution noch immer mitten im Umbruch steckt. Und natürlich ganz viel vom Fußball in Albanien und mit Albanien. Aber Vorsicht: ich fürchte, die Lektüre löst massive Reiselust aus!
Und nun also: Balkan Beats. Los geht es wie gesagt in Trieste, von wo aus ich mich zunächst entlang der kroatischen Küste gen Süden fortbewege. Über Inseln kurbele, mit Fähren unterwegs bin, die dalmatische Karst- und Küstenlandschaft erradele, versuche, dem gefürchteten LKW-Verkehr aus dem Weg zu gehen. Und ohne großen Plan oder Planungen unterwegs bin. Mich auf die Kernessenz des Radreisens beschränken will: "Der Weg ist das Ziel". Dieser grenzwertige Esoterikspruch trifft auf dem Rad tatsächlich mal voll ins Schwarze: Der Weg ist das Ziel! Wobei das Ziel mäandriert, sich ändert, sich einfangen lässt, entfleucht, an völlig unerwarteter Stelle wieder auftaucht, vielleicht sogar mal ganz verschwindet. Wer weiß das schon?
Grobe Richtung ist Griechenland. Athen. Irgendwann will ich dort auf eine Fähre klettern, die mich nach Italien bringt. Und wenn die Lokführer bis dahin ihren Streik beendet haben sollten, würde ich sogar per Bahn nach Hause kommen. Halbwegs klimaneutral. Soll ja in Zeiten wie diesen nicht so ganz unwichtig sein.
Was mich begleitet ist natürlich der Fußball. Die Saison in Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Serbien, Montengro, Kosovo und Griechenland läuft bereits. Es dürfte also zahlreiche Begegnungsmöglichkeiten geben, und ich bin gespannt, in welche Stadien es mich so treibt. Und was da auf mich wartet. Dass Fußball ein wunderbarer Türöffner und Kontakthof ist habe ich in Albanien erst wieder erfahren, wo ich viele Dinge über das Land und die Lebensbedingungen sowohl im sozialistischen Staatsgefängnis als auch in der turbokapitalistischen Gegenwart erfahren konnte, weil ich durch die wunderbare Kommunikationspforte "Fußball" marschiert bin. Auf dem Balkan dürfte die ganze Sache garniert werden mit ausgeprägtem Nationalismus und einer Fankultur, die hierzulande nicht nur bei Rainer Wendt für Herzklabaster sorgen dürfte. An dieser Stelle passt ein kurzer Werbeblock in eigener Sache, denn im aktuellen Zeitspiel-Magazin haben wir uns im Schwerpunkt mit Jugoslawien im Jahr 1991 beschäftigt. Jenem Jahr, in dem Roter Stern Belgrad den Europapokal gewann und der Vielvölkerstaat gewaltsam zerbrach. Im Heft schreiben wir: "Nach dem Triumph von Bari (wo das Europapokalendspiel stattfand) kam die Tragödie von Srebrenica." Auch dem will ich ein bisschen nachspüren. (Wer neugierig auf das Heft ist klickt hier)
Wie gewohnt werde ich von unterwegs bloggen, wobei ich auch da ein wenig den Weg das Ziel sein lassen werde. Lasst Euch also ein bisschen überraschen, was unterwegs so passiert. Die Adresse meines Blogs hat sich übrigens geändert, den ich habe ihn endlich direkt in meine Website einbinden können, wo er ja auch hingehört. Der alte Blog "Jenseits der Komfortzone" bleibt natürlich trotzdem online, so dass ihr weiter auch von alten Abenteuern lessen könnt.
In diesem Sinne: denkt positiv und bleibt negativ!
Euer hardy cyclist
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